Gutachten aber wie
Brief von Lutz Balding, vom 25.01.2010

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es ist eine Menge Text, aber ich habe keine Möglichkeit mit Maschine zu schreiben, dass man's evtl. scannen und direkt in den Verteiler einstellen könnte. Sorry, ich weiß was ich euch da antue... aber es läßt sich auch sicher gerafft in die Runde geben.

Also, worum's geht: habe vorerst mal meine weitere Mitarbeit am Gutachten ausgesetzt, aber was aktuell gelaufen ist, war einfach nicht mehr hinnehmbar. Lest's mal und bildet euch 'ne Meinung.

Mehr kann ich im Moment nicht sagen.
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Anlage: 5 Blätter Text

Hallo Ihr Lieben,

ich schreibe jetz einfach mal die Chronologie der letzten 2 Wochen nieder damit's so in die Runde gehen kann und ich's nicht jeweils einzeln mitteile.

Am Donnerstag, 07.01. war Prof. Müller in Schwalmstadt, hat kurz 'ne körperliche Untersuchung vorgenommen (um sicher zu sein, dass kein Krankheitsbild vorliegt das einer Aufnahme in seiner Klinik entgegen stände). Weiterhin hat er mich kurz darüber informiert wie die Unterbringung sein wird: gemeinsam mit anderen Patienten in einem Zimmer sowie dass von mir erwartet würde, dass ich ich mich in den Klinikalltag integriere, d.h. auch an der täglichen Arbeitstherapie teilnehme etc.....
Er würde mit der Knastbürokratie am nächsten Tag die Verlegung organisieren und es könne jetzt ganz schnell gehen.

Montagmorgen 11.01. wird mir gesagt, dass ich noch am Vormittag mit dem normalen Knasttransport in Richtung Göttingen verlegt werde. Von dort aus solle dann der Weitertransport in Müllers Klinik erfolgen. Bin dann vormittags bis Kassel gefahren und Weiterreise war für Mittwoch früh vorgesehen. Tja und dann habe ich mich erstmal sehr gewundert, als ich am Mi-morgen nicht für den Transport aufgerufen wurde. Nachfrage ob man mich evtl. vergessen hätte ..... nein, es "wäre etwas dazwischengekommen", näheres könne man mir nicht sagen. Habe dann natürlich keine Ruhe mehr gegeben und mein Interesse nach Information ziemlich deutlich gemacht.
Daraufhin lässt mich ein Beamter ["... eigentlich darf ich das ja nicht"...] ein Fax lesen, das am Tag vorher in der JVA Kassel eingegangen ist. Text: "Prof.Dr. Müller hat telefonisch mitgeteilt, dass eine Aufnahme in die Asklepiosklinik nicht adäquat erfolgen kann. Der vorgesehene Transport ist zu unterbrechen und wie folgt zu ändern: Balding wird am 15.01. in die JVA Posdorf verlegt und von dort aus der Außenstelle des Landeskrankenhauses Moringen, festes Haus Göttingen, zugeführt."
Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit dieser bescheuerten Formulierung "nicht adäquat" noch nichts anfangen. Weiteres habe ich dann erstmal nicht erfahren.

Freitag, 15.01. dann mit Transport nach Posdorf und mittags mit Knastwagen gefesselt ins "feste Haus" der Psychiatrie Moringen.
Ankunft: vier "Pfleger" nehmen mich in Empfang, ich muss mich nackt ausziehen, bekomme einen reißfesten "Bademantel" und Plastiklatschen, werde zu einem Raum geführt, in dem sich außer einem Bett mit fest installiertem Fesselgeschirr und einer stinkenden Blechtoilette nichts befindet. "So, Ihr neues Zuhause. Gleich kommt noch der Doktor und untersucht Sie". Doppeltür mit Panzerglassichtscheibe zu. Ich will's irgendwie nicht glauben. Denke, das ist'n Irrtum, wird sich gleich aufklären.
Nach ca. 'ner halben Stunde eine Ärztin in Begleitung dreier "Pfleger", routiniert künstliche "Freundlichkeit": wie man sich fühlt und ob es aktuelle gesundheitliche Beschwerden gibt? Zu den "Pflegern" ... ach bitte geben Sie dem Patienten die Unterhose, das kann man ruhig verantworten. Zu mir: "wegen dem Schamgefühl, gell".
Ich habe nur zwei Fragen: warum bin ich hier und nicht in der Klinik von Prof.Dr. Müller und was soll dieses ganze entwürdigende Prozedere?
Sie (die Ärztin) wäre ja nur für "das ganze medizinische" zuständig, aber ich wäre hier, da die Klinik von Prof. Dr. Müller "für eine Aufnahme nicht sicher genug" sei und der Rahmen hier wäre davon bestimmt, dass ich ein sog. "Hochrisikopatient" sei und für "so gefährliche Menschen wie mich" hätten eben "besondere Maßnahmen" Geltung, aber dazu würde mir noch etwas gesagt werden.
Später dann wird mir folgende Verfügung eröffnet:
->  Der Patient Lutz Balding ist unter völliger Absonderung von anderen Patienten 23 Std. in einem Isolierraum zu verwahren. Der 1stündige Hofgang ist in Handfesseln in Begleitung dreier Pfleger durchzuführen. Ist ein Verlassen des Isolierraumes nötig wird der Patient durch Bauchgurt mit integrierter Handfessel sowie durch eine Fußfessel gesichert und durch drei Pfleger begleitet. Eine Vorführung im Rahmen der Begutachtung erfolgt in Handfesseln. <-

Zwecklos, mit dem Klinikpersonal irgendwas diskutieren zu wollen, man beruft sich auf "Anordnungen". Einem Stationsarzt rutscht während einem kurzen Gespräch raus, dass ich nicht in der Asklepiosklinik bei Müller sei, da "offensichtlich im letzten Augenblick wieder hessische Justizbehörden dazwischengefunkt hätten". Näheres war erstmal nicht zu erfahren. Aber Prof. Müller hätte sich für Dienstag, 19.01. angekündigt.
Für mich stand dann klar, meine Mitarbeit an der Begutachtung unter diesen Umständen hat sich erledigt. [zum 'warum' sage ich später noch etwas] Drehe im Kopf die Konsequenzen hin und her. Könnte - wird - wahrscheinlich bedeuten auf lange Sicht in der SV zu verschwinden. Oder soll ich mich opportunistisch verhalten, mich einfach den Bedingungen ergeben? NEIN! Mit dem Film, den se gerade fahren sind alle Grenzen des Erträglichen überschritten. Schluß, Ende, Aus - für mich hat sich's erledigt. Dann wieder rein vernünftiges Durchdenken: es bleibt dabei, für mich ist an dem Punkt Schluß!

Dienstag, 19.01. gegen drei Uhr nachmittags kommt Müller. Mit Handschellen gefesselt, in Begleitung des "Pflegerpulks" werde ich vorgeführt. Müllers Ausdruck: konsterniert; ein "Pfleger" ... geht das, dass wir Sie allein lassen? Und falls irgendwas ist, hier ist ein Alarmknopf und wir sind auch in unmittelbarer Nähe....
Wohlgemerkt: bei allem was mir seit Ankunft in Kopf und Herz rumgegangen ist, hat es meinerseits nicht den geringsten Anflug von Aggresionen gegeben, bin vom ersten bis zum letzten Moment ruhig und sogar höflich (!!!) geblieben.
Ich teile Müller mit, dass ich unter diesen Bedingungen meine aktive Mitarbeit am Gutachten für beendet sehe und erwarte das unverzüglich die Rückführung nach Schwalmstadt angeordnet wird. [* nicht einfach nur so hingeworfen, sondern schon ausführlicher begründet, dazu aber mehr später]
Zu den Gründen, warum eine Aufnahme in seiner Klinik nicht erfolgt ist, läßt er in 'ner Zwischenbemerkung auch nur raus, dass für ihn "einiges überaschend und unverständlich gekommen sei, obwohl lange genug im Vorfeld bekannt war, wohin (ich) kommen sollte."
Ich solle mir der eventuellen Konsequenzen bewußt sein (bin ich) und überlegen, ob man nicht doch.... (nein, ich erwarte eine sofortige Rückverlegung, meine Entscheidung ist definintiv!)

Müller sagt zu, sofort Richter Wolf zu informieren. Ich versuche anschließend, mit'm Anwalt Kontakt zu bekommen. (Ob ich denn Geld für ein Telefonat hätte? ... Nein, das tut uns leid, muss dann bis Morgen warten, dann dann kümmere sich der Sozialdienst darum.....)

Mittwoch 20.01. - vormittags kommt jemand vom Sozi-Dienst rein, ich bitte darum, die Kanzlei zu informieren wo ich bin und um dringenden Rückruf bitten.
Nachmittags endlich Kontakt zu Andreas: er hat 'ne halbe Stunde vorher ein Fax von Richter Wolf bekommen, in dem er über meinen Abbruch informiert wurde. Zu den Gründen wurde Andreas mitgeteilt, ich sei "psychisch vollkommen zusammengebrochen" unter dem Eindruck offensichtlich überzogener Sicherungsmaßnahmen, die nach "Warnungen der hessischen Justiz" angeordnet seien. Der Verteidiger werde gebeten in dem Sinne auf mich einzuwirken, dass ich das Gutachten nicht abbreche, hierzu werde das Gericht auch eine sofortige Anreise von Andreas nach Göttingen finanzieren.
Ich erkläre Andreas, das ich keineswegs "psychisch völlig zusammengebrochen sei", mich eigentlich sehr stabil fühle und es eine rationale, nicht emotionale Entscheidung sei, meine Mitarbeit zu beenden, (natürlich spielt's Gefühl doch immer 'ne Rolle, alles andere wäre Quatsch, aber eben nicht die bestimmende). Sage ihm was alles seit'm 07. abgelaufen ist.... davon hatten Wolf und Müller nämlich nichts erwähnt. Und er könne Wolf sagen, das meine Entscheidung so wie gesagt bestehen bleibt.
Andreas sagt, dass Wolf auf seinen Rückruf wartet und er mich danach nochmal anruft um zu informieren, wie's weitergeht.
Rückruf: Andreas sagt, dass Wolf eingesehen hat, dass eine weitere Begutachtung unter diesen Umständen keinen Sinn mache. Zudem habe ihm Müller auch mitgeteilt, dass die von ihm geplanten neurologischen Untersuchungen im Schlaflabor so nicht stattfinden könnten (die 2008 stattgefundene Untersuchung im Schlaflabor von Schwalmstadt betrachte er aus neurologisch - fachlicher Sicht als "fehlerhaft").
Er (Wolf) werde sofort die Rückführung nach Schwalmstadt anordnen. Müller solle die Begutachtung dort weiterführen. Bezüglich den erforderlichen neurologischen Untersuchungen werde er richterlich verfügen, dass die hessische Justiz diese Untersuchungen nach den fachlichen Vorgaben von Müller und unter Bedingungen, die Müller vorgibt, durchzuführen hat, egal was das an Personalaufwand bedeute. Denn schließlich hätten die hess. Justizbehörden einen wesentlichen Anteil daran, dass die Begutachtung nicht in der vorgesehenen Form stattgefunden hat.
So wie sich die Situation darstellt habe sich "die Vollzugsbehörde" (ob Knastleitung oder Jumi bleibt offen) am 08.01., nachdem bekannt wurde, dass ich in die Asklepios verlegt werden soll, an die Klinikverwaltung gewandt nach dem Motto: wissen Sie eigentlich, was der Müller da für einen Gefangenen aufnehmen will.... darauf hin wurde Müller dann die Aufnahme untersagt.... Wolf wird die Sache erstmal so behandeln, dass nicht heißt: "Balding hat's mal wieder versiebt". Alles weitere dann, wenn ich wieder in Schwalmstadt sei.

Donnerstag, 21.01. Wolf hat Wort gehalten, vormittags werde ich in's Gefängnis Posdorf gebracht, morgen geht von dort aus ein Transport nach Hessen, werde am Freitag zuerst nach Frankfurt gekarrt und von dort aus am Montag zurück nach Schwalmstadt (manche Wege sind wundersam....).

Jetzt ist Wochenende, 23.01. - ich sitze in Frankfurt und schreibe an diesem Bericht. Wollte euch eigentlich schon aus Göttingen ein paar Zeilen zukommen lassen, hätte aber den Brief unter Aufsicht schreiben müssen [Kugelschreiber in meiner Hand - eine tödliche Waffe.... "Einer flog übers Kuckucksnest" in echt], das habe ich mir dann doch verkniffen.

Zu meinen Gründen, diese Geschichte dort erstmal zu beenden: kategorialer Syllogismus und Prognosetafel als Katechismen der Forensischen Prognostik lassen mir von Haus aus keine Chance, da ihre Basis die Hochrechnung von früherem Verhalten auf die Zukunft ist. Dies kam im Leygraf - Gutachten recht deutlich zum Ausdruck. Mit den Stempeln "gefährlich" und "Manipulator" versehen bleibt nur die Möglichkeit auf der Ebene konkreten Handelns zu vermitteln: es braucht sich niemand vor mir zu fürchten. In der Sphäre des Knastes will man's einfach nicht begreifen, weil es hieße, Verantwortung (z.B. für Lockerungen) übernehmen zu müssen. Risikominimierung als oberste Direktive.... Zwölf Jahre ohne weiteren Fluchtversuch, die ungefesselten Arztausführungen - wen interessiert es?
Von daher war's für mich von zentraler Bedeutung, dass die Begutachtung in einem Rahmen stattfinden sollte, der - relativ gesehen zur Hochsicherheit von Schwalmstadt - offener gewesen wäre und dabei eben nichts passiert wäre. Weiterhin war der Ansatz, dass ich mich Müller und seinem Mitarbeiterstab im Alltag hätte angemessen vermitteln können, durch die veränderten Bedingungen ausgehebelt. Müller wäre als "Besuchsgutachter" reingekommen und alle anderen Wahrnehmungen wären nur vermittelt durchs Klappsmühlenpersonal rübergekommen. Eine andere Befürchtung von mir war, von simpler deduktiver Logik gespeist: wenn der Rahmen schon derart überzogen vom Aspekt Gefahr - Risikominimierung - Sicherheit dominiert ist, verdammt, was soll dann als Ergebnis stehen? Einerseits behandelt wie Hannibal Lecter (*1) aber dann vertrauenswürdig genug um gelockert entlassen zu werden?

Allein aus diesen Grünen betrachte ich meine Entscheidung nicht als überzogen oder falsch.

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Über das "weiter" möchte ich erst konkret was sagen, sobald ich ausführlich mit Andreas (der sich nochmals mit Richter Wolf beraten wird) gesprochen habe. Falls eurerseits Fragen an Andreas sein sollten, er hat mein volles oK mit jeder/m zu reden.


25.01. - Schwalmstadt: heute angekommen. Es besteht dringende Notwendigkeit noch einen Nachtrag zu schreiben, da ich heute klar bekommen habe, was definitiv gelaufen ist. Wie schmutzig die Geschichte ist, zeigt schon der Einstieg: zuerst hat man hier versucht, mir einzureden, dass angeblich Prof. Müller im letzten Moment kalte Füsse bekommen habe und die ganze Sache von ihm gecancelled worden sei. Ich habe dann das genaue Gegenteil belegt, da ich über Andreas den kompletten Fax- und E-mail-Verkehr zwischen Gutachter, Gericht und niedersächsischem Gesundheitsministerium bekommen habe (schon vor längerer Zeit). Aus diesem ging ganz klar hervor, dass Müller genehmigt bekommen hatte, mich bei ihm in der Asklepios aufzunehmen und dies selbst auch so wollte. Dann kam es endlich raus: nachdem Müller am Freitag, 08.01. die Verlegung mit der Knastverwaltung abgesprochen hatte, hat eine Abteilungsleitung hier Erkundigungen eingeholt und die Mitteilung bekommen, dass die Asklepios einen sehr niedrigen Sicherheitsstandard hat. Daraufhin hat man sich von hier aus an die Klinikverwaltung bzw.- leitung gewandt und interveniert, man würde einer Aufnahme keinesfalls zustimmen, die Leitung solle sich bewusst sein, dass da ein hoch gefährlicher Gefangener käme..... etc. Die haben dann natürlich sofort ihren Prof. gestoppt und es wurde Moringen / festes Haus Göttingen organisiert.

Mir gegenüber erklärt man nun hier, man hätte so handeln müssen. Noch nicht einmal auf meine Person bezogen, (haha) sondern aus grundsätzlichen Erwägungen heraus. Schließlich sei und bleibe ich ein Gefangener der "hessischen Justiz".





*1 Hannibal Lecter: Hauptfigur in dem Film "Das Schweigen der Lämmer"