Ablauf des Abbruchs
Landgericht Marburg, 07.02.2010
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Groß,
in dem Strafvollstreckungsverfahren gegen Lutz Balding, geb. am 03.09.1958
darf ich zu Ihrem Schreiben vom 01.02.2010 zunächst bemerken, dass das Gericht gewiss ebenso unfroh über den Verlauf der Dinge ist wie Sie (und Herr Balding). Für alle darf ich den Ablauf noch einmal in Erinnerung rufen:
Über Vorgänge vor dem 04.11.2008 kann ich zurzeit nichts sagen, weil die Akten beim Sachverständigen sind; ich habe sie heute zurückerbeten.
• | am 04.11.2008 habe ich Prof. Müller angefragt, ob er das Gutachten übernehmen kann; er war ausgesucht worden, weil er neben seiner Befähigung, forensisch-psychiatrische Prognosegutachten zu erstellen, mit der Zusatzqualifikation als Neurologe möglicherweise fachkundige Untersuchungen und Bewertungen des "restles-leg-syndroms" beisteuern könnte; |
• | in seiner Antwort an mich vom 05.11.2008 wies Prof. Müller sogleich darauf hin, dass die von ihm geleitete Asklepios-Klinik "nicht mehr das ist, was man als hochgesichert bezeichnen kann" und stellte in Aussicht, für Herrn Balding einen Platz im "Festen Haus" der Klinik Moringen, die auf dem selben Gelände liegt, zu erhalten; |
• | in seiner Mail vom 13.11.2008 bot Prof. Müller verschiedene Verfahrensmöglichkeiten an: Aufnahme in Moringen oder in der Asklepios-Klinik, letzteres unter der Voraussetzung, dass er selbst sich zuvor über "Flucht und sonstige Gefahr ein Bild gemacht habe"; |
• | in meiner Antwort vom 13.11.2008 stimmte ich Moringen zu. Es folgte der Beschluss über das Gutachten mit Datum 16.02.2009; |
• | mit Mail vom 11.03.2009 übermittelte Prof. Müller sein Ersuchen vom 09.03.2009 an das zuständige Ministerium, Herrn Balding übernehmen zu können; |
• | die mit Mail vom 09.04.2009 übermittelte Antwort war negativ, aus Sicherheitsgründen und aus rechtlichen Gründen; statt dessen wurde Unterstützung für eine Aufnahme in Moringen zugesagt; |
• | mit Schreiben vom 23.06.2009 teilte Prof. Müller mit, dass die Aufnahme in Moringen bislang nicht möglich gewesen sei; nunmehr habe das Ministerium aber doch zugestimmt, Herrn Balding in die Asklepios-Klinik aufzunehmen, wenn Prof. Müller sich zuvor in der JVA Schwalmstadt überzeugt habe, dass er dort untergebracht werden könne; |
• | am 12.10.2009 teilt Prof. Müller mit, dass Herr Balding die Begutachtung bis nach Abschluss der bevorstehenden Realschulprüfung zurückstellen möge; |
• | am 12.01.2010: |
11:43: | mir wird bekannt, dass Herr Balding auf dem Weg in die JVA Kassel ist, dass die JVA Schwalmstadt aber Bedenken hat, ihn in die Asklepios-Klinik zu überführen, weil diese nicht den erforderlichen Sicherheitsstandard habe; ich frage deshalb bei Prof. Müller an, wohin er gebracht werden soll; | |
12:19: | Prof. Müller antwortet : ratlos; | |
14:44: | Prof. Müller teilt mit, das Herr Balding am Montag (=18.01) in Moringen aufgenommen werden kann; | |
14:52: | Prof. Müller teilt die Aufnahmemöglichkeit dem Gricht und dem Ministerium mit; | |
15:18: | Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt bittet die JVA Kassel, dem Gefangenen zu eröffnen, dass die Asklepios-Klinik ihn nicht aufnimmt, dass er am 18.01 in Moringen aufgenommen werden soll und dazu am 15.01 in die JVA Rosdorf überstellt werde;
| |
15:48: | Ministerium teilt Prof.Müller mit, dass das Einverständnis zur Übernahme des Gefangenen auch für Moringen gilt; | |
16:24: | Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt fragt bei Gericht an, ob mit dieser Vorgehensweise Einverständnis besteht;
| |
17:23: | Ich teile mit, dass das Gericht keine Bedenken hat, damit überhaupt eine Aufnahme stattfinden kann; |
• | 15.01.: | Herr Balding wird im LKH Moringen, hochgesicherte Aufnahme- und Krisenstation, aufgenommen; |
• | 20.01.: | Prof. Müller teilt mit: |
Balding sei in guter Verfassung und frohen Mutes im LKH Moringen eingetroffen und habe viel Hoffnung in das kommende Gutachten gesetzt. | |
Vermutlich aufgrund von Sicherheitswarnungen der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt, die an die vor zwölf Jahren erfolgten Fluchtversuche anknüpften, sei Balding in Moringen allerdings ganz besonders streng untergebracht: Er befinde sich 23 Stunden in einer Isolierzelle; wenn er vor die Zelle trete, werde er mit Hand- und Fußfesseln sowie einem Bauchgurt gesichert und es seien ständig drei Pfleger um ihn. Dieser krasse Gegensatz zu der Art der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt habe dazu geführt, dass Balding praktisch psychisch zusammengebrochen sei. Er wolle schleunigst nach Schwalmstadt zurück. | |
Prof. Müller habe inzwischen mehrfach mit ihm gesprochen und könnte insoweit schon ein Gutachten erstatten; medinzinische Untersuchungen, etwa auch in einem Schlaflabor, seien jedoch unter den gegebenen Bedingungen nicht lege artis durchzuführen, so wie auch schon eine frühere "Untersuchung" in einem Schlaflabor fehlerhaft ausgeführt worden sei. | |
Wir sprechen ab, dass ich versuche, den Verteidiger einzubinden, damit dieser auf Balding einwirke, das Gutachten nicht abzubrechen. |
• | 20.01.: Abends nach Erhalt des Fax ruft RA Groß an und wir erörtern die Sachlage. Der VT bestätigt den desolaten Zustand des Verurteilten und die auf extreme Sicherheit ausgelegte "Behandlung" in Moringen. Er beantragt, dass diese Situation beendet wird, weil so eine fachgerecht Begutachtung nicht möglich sei. Im Weiteren erörtern wir, dass Prof. Müller die ggf. weiter erforderliche Exploration in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt durchführen solle. Es solle sodann im Einzelnen beschrieben werde, welche medizinischen Untersuchungen geboten seien, in welchem Krankenhaus pp. sie durchgeführt werden könnten und welche Rahmenbedingungen dabei zu beachten seien. Dies solle das Gericht sodann entsprechend anordnen. |
• | 21.01.: Mail Vors. an Sachverständiger: Auftrag nun: | |
- Gutachten wie Beschluß, ohne weitere Überstellung mit Ergänzung: | ||
- welche medizinischen Untersuchungen sind sinnvoll | ||
- wo können sie durchgeführt werden | ||
- welche äußeren Bedingungen müssen dafür geschaffen werden. |
• | 21.01. Balding in Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt zurückverlegt. |
Zu den Vorgängen, die Sie in Ihrem FAX vom 01.02.2010, das hier mit leichter Verspätung vorgelegt wurde, beschrieben haben, kann ich derzeit noch nichts sagen, werde das aber aufzuklären versuchen.
Entscheidend erscheint mir derzeit, dass der Auftrag an den Sachverständigen angepasst wurde. Auf der Grundlage seiner erbetenen Ausführungen über Sinn, Ort und Umstände weiterer medizinischer Untersuchungen sollten weitere Erkenntnisse möglich sein.
Ich bin in der kommenden Woche ....................... .
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolf
Vorsitzender Richter am Landgericht
Beglaubigt
Diuzenski
Justizfachangestellter