Kornhaus - Inside

Kornhaus - Inside


In einem professionell gestalteten Fatblättchen stellt das Gefängnis Schwalmstadt, sprich www.justiz-hessen.de der interessierten Öffentlichkeit ihre „Vollzugsabteilung Kornhaus“, bestehend aus Alten-Vollzug und Lockerungsabteilung vor. Umrahmt von veralteten Bildchen, die wohl idyllischen Charakter von gemütlicher Altersheimatmosphäre vermitteln sollen, wird natürlich mit höchstem Anspruch die zu Grunde liegende Konzeption gepriesen:

  

„Ältere Menschen in der Haft haben besondere Bedürfnisse, denen die JVA Schwalmstadt in der eigenständigen Abteilung Kornhaus mit spezifischen Angeboten gerecht zu werden versucht. Ein speziell auf ältere Gefangene ausgerichteter Strafvollzug muss die besondere psychische Situation und die sich daraus ergebenden psychosozialen Bedürfnisse älterer Gefangener verstehen lernen und auf veränderte Entwicklungsziele transferieren. Als Grobziel kann hier die Vorbereitung auf ein gelingendes Altern vor allem nach der Zeit der Entlassung formuliert werden. Das Konzept des Kornhauses wird ständig fortgeschrieben, verändert und verbessert.... “.

  

Uwe S. - 13 Monate Haft wegen fahren ohne Fahrerlaubnis, hat sich dem Vollzug selbst gestellt. Seine Frau verstirbt während der Haft, zwei Kinder werden nur notdürftig betreut. Sämtliche Vollzugslockerungen, außer Ausführungen mit bewaffneten Bediensteten werden verweigert. Das hat u.a. zur Folge, dass ein schon vorgesehener Mietvertrag nicht zustande kommt, da die beamtete Begleitung vom Vermieter (wie gewünscht???) im Sinne von „Risiko, Gefahr....“ adaptiert wurde. Eine langjährige Freundin erleidet angesichts bewaffneter Bediensteter einen Schlaganfall, ein Sohn verfällt angesichts der situativen Belastungen in regressives Verhalten (Bettnässen), dringend notwendige Gespräche mit dem Lehrkörper der Schule können nicht stattfinden, da die Anstalt auf beamteter Begleitung besteht und Uwe S. sich dieser Form von Stigmatisierung nicht weiter aussetzen will.

Detlef B. - 2 Jahre Haft wegen Betrugs, stellt sich dem Vollzug selbst zu Vollstreckung, Strafende August 2013. Mutter ist schwer erkrankt, behandlungsperspektivisch als infaust eingestuft jetzt in häuslicher Pflege. Mehr als Ausgänge in Begleitung von Verwandten werden nicht genehmigt, obwohl in offizieller Stellungnahme zur sog. Tataufarbeitung „Anzeichen für Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht erkennbar“ sind und er regelmäßig unter gelockerter Aufsicht in der „Freiflächenunterhaltung“ arbeitet.
Ein Antrag, eine noch offen stehende Ersatzfreiheitsstrafe in Form von gemeinnütziger Arbeit in einer Pflegeeinrichtung abgelten zu können, wird zunächst von der Staatsanwaltschaft befürwortend  geprüft. Nachdem die Anstalt hierzu eine Stellungnahme abgibt, wird nun der Antrag „aufgrund der strafrechtlichen Vorbelastung“ abgelehnt, obwohl Pflegeeinrichtungen der näheren Umgebung dringend personelle Entlastung suchen und fachliche Qualifikation durch eine Pflegeausbildung besteht.
Ob der Umstand, dass Detlef B. versucht, seinen Rechten als Gefangener durch Eingaben, Beschwerden und Anträgen auf gerichtliche Entscheidungen Geltung zu verschaffen maßgeblich für diese Entscheidung war, oder die schnöde Absicht der Institution, die Arbeitskraft eines Gefangenen vollumfänglich selbst ausbeuten zu wollen, wird nie zu erfahren sein.
Auch heute noch, nicht einmal mehr als dreieinhalb Monate vor Strafende wird ihm lediglich  gestattet, die Anstalt in Begleitung zu ver1assen.

Heimann - Am Vortag seiner Haftentlassung wird seitens der Anstalt darauf bestanden, ihn  zur Anmietung einer Wohnung in Begleitung einer Sozialarbeiterin und zweier Bediensteter vorzuführen.

Günter W. - Vollverbüßung seiner 5-jährigen Haftstrafe. Im Herbst letzten Jahres erleidet er einen Schlaganfall, ist danach halbseitig gelähmt. Fortbewegung ist nur noch im stützenden „Rollator“ möglich. Am Tage seiner Haftentlassung sitzt er um 16.00 Uhr immer noch mit Rollator und Karton, in dem seine Habseligkeiten sind, im Hof und wartet dass ihn „irgend jemand“ abholt und in das vorgesehene Pflegeheim nahe Marburg bringt. Letztendlich wird er am späten Nachmittag durch die Polizei dorthin gebracht, nachdem die Staatsanwaltschaft sie per Eilverfügung dazu gezwungen hat.


Vier willkürlich ausgesuchte Fälle an denen deutlich wird, wie es um die „Altersgruppenspezifische Integrationsvorbereitung“ in dieser Einrichtung bestellt ist und mit welcher Hingabe auf die „besonderen psychosozialen Bedürfnisse“ älterer Gefangener eingegangen wird.
In der Regel werden die Insassen völlig unzureichend vorbereitet entlassen. Oft ist es damit getan, dass die für Haftentlassene zuständigen Bürokratien benachrichtigt werden, eine rein technische Abwicklung. Der vom Gesetz vorgegebene Auftrag zur intensiven und adäquaten Entlassungsvorbereitung wird ignoriert. Förderung und Stützung noch vorhandener Beziehungen zu Angehörigen, Freunden etc., ein Vereinsamung und Hospitisierung entgegenwirkendes Konzept existiert nicht, der alternde Gefangene findet sich in seiner „besonderen psychosozialen Lage“ völlig allein gelassen.

Die in der Präsentation hervorgehobenen „altersgerechten Arbeitsplätze“ in Arbeitstherapie und Fa. Bast machen vielleicht auf Hochglanz beschrieben etwas Eindruck, erfüllen de facto aber nur die vorgesehene Alibifunktion. Die Regel besteht aus Arbeitsausfall, da die entsprechenden Aufsichtsstellen nicht besetzt werden. Den Begriff der wirtschaftlichen Ergiebigkeit werden in diesem Zusammenhang noch nicht einmal eingefleischte Apologeten des Altenvollzuges in den Mund nehmen, obwohl die Förderung, wirtschaftlich ergiebige Arbeitsplätze zu schaffen, Verfassungsrang hat.

Die Gründe einer permanenten  Lockerungsverweigerung nur in personellen Unzulänglichkeiten finden zu wollen greift zu kurz. Der markigen Ankündigung von Koch im Wahlkampf 1gg8, den „härtesten Strafvollzug Deutschlands“ praktizieren zu wollen sind auch entsprechende Taten gefolgt. Schon 20003 stellt das Vollstreckungsgericht in Marburg fest, dass zu diesem Zeitpunkt die Anzahl der bewilligten Lockerungen um mehr als zwei Drittel zurückgegangen ist. Parallel dazu wurde auf der Ebene der Vollzugsverwaltung ein Wust aus gesetzesfremden, behördeninternen Konstrukten ersonnen, um die Gewährung von Lockerungen und die Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen unter Berufung auf die sog. Erlass1age verhindern oder verzögern zu können. Damit ist faktisch die Entscheidung über Vollzugslockerungen den Gerichten weitestgehend aus der Hand genommen.
Die obergerichtliche Rechtsprechung der letzten Jahre versucht zwar, dieser Verselbstständigung des Gefängnisapparates entgegen zu steuern. Aber das grundsätzliche Problem lässt sich - sofern gewollt - nur legislativ, nämlich durch eindeutiges Gesetz lösen, das renitente Gefängnisverwaltungen und Ministerien an die Kandare nimmt.

Nach wie vor nimmt die JVA Schwalmstadt eine herausragende Stellung dabei ein, wenn es darum geht, gerichtliche Beschlüsse umzudeuten oder gänzlich zu ignorieren. Hierzu sei aus dem Beschluss der großen Strafvollstreckungskammer am Landgericht Marburg 7
StVK 316/03 zitiert:

„Die Verzögerung der Umset2ung von Entscheidungen der Strafvollstreckungsgerichte entspricht der mittlerweile täglichen Erfahrung der Kammer, Nicht nur ganz ausnahmsweise kommt es in Fragen der Resozialisierung zur Aufhebung von Entscheidungen der JVA Schwalmstadt und zur Zurückweisung der Sache an die Anstalt mit der Weisung, unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts neu zu entscheiden: aus Fortsetzungsverfahren muss die Kammer regelmäßig erkennen, dass die Ansta1t dies nicht oder nur mit großer Verzögerung umsetzt. (…)
Der Gesetzgeber hat den Strafvollstreckungsgerichten keine Mittel verliehen, ihre Entscheidungen gegenüber dem Strafvollzug tatsächlich durchzusetzen. (...)“

  

Das eigentliche Konzept des Kornhauses ist dabei nicht schwer zu erkennen: die kostengünstigste Verwahrung alter Gefangener, die als so ungefährlich angesehen werden, dass die Belegung eines kostenträchtigen Haftplatzes im Hochsicherheitsbereich durch sie nicht erwünscht ist.
So läßt sich eine ganze Teilanstalt als Billigversion mit lediglich einer Handvoll Bediensteter führen.



Die Lockerungsabteilung

verfügt über sieben Hafträume, die früher mehrfach, heute jedoch nur noch in Ausnahmefällen mit mehr als einer Person belegt werden. Laut Vollstreckungsplan des Landes Hessen, in dem die Zuständigkeiten der einzelnen Anstalten geregelt sind, ist diese Station für die Aufnahme aller Lockerungsberechtigten Nordhessens - also der JVA Schwalmstadt und Kassel 1 - vorgesehen. Eine Unterbringung dort sollte sich auf ein zeitliches Minimum beschränken und den zügigen Übergang in den offenen Vollzug vorbereiten.

So ziemlich das Gegenteil bildet die Regel: in teilweise großer räumlicher Entfernung zu ihren   Angehörigen und ihrem zukünftigen Lebensmittelpunkt verbringen Lockerungsberechtigte lange Monate, bis hin zu Jahren und absolvieren sinnentleert immer und immer wieder die gleichen Maßnahmen, anstatt sie zeitnah und an wirklicher Integration orientiert, schnellstmöglich dem offenen Vollzug zuzuführen.

Der Umstand, dass zu viele Lockerungsberechtigte die wenigen Plätze der Lockerungsstation über Gebühr langfristig belegen führt zwangsläufig dazu, dass die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen in der Hauptanstalt stagniert bzw. für Einzelne auf die lange Bank geschoben wird. Seitens des Justizministeriums gilt die sog. Erlasslage, nach der es unerwünscht ist, dass Gefangene aus Anstalten der höchsten Sicherheitsstufe unbegleitete Lockerungen erhalten. Da es an freien Übergangsplätzen mangelt, werden solche Lockerungen verspätet geprüft (da es im Falle der Feststellung einer Eignung rechtlich nicht erklärbar wäre, warum diese dann nicht auch gewährt werden) oder die vorangehende Erprobungsphase in begleiteten Ausführungen endlos ausgedehnt.

Selbstständigkeit provoziert eher institutionellen Widerstand als Förderung. Roger M.
kümmerte sich selbstständig um eine Arbeitsstelle außerhalb der Anstalt. Etwas dass das
Vollzugsgesetz durchaus zuläßt. Die Anstalt lehnte mit der Begründung ab, hier sei kein offener Vollzug. Es bliebe ihm aber unbenommen, für die Zukunft eine Verlegung in die JVA Gießen anzustreben, von dort aus könne er dann ja jeden Tag nach Schwalmstadt zur Arbeit anreisen. Würde Roger für jeden Tag der Woche einen Antrag auf Ausgang stellen, könnte er die Anstalt jeweils von 6.30 - 8.00 verlassen... aber zur Arbeit in einem normalen Beschäftigungsverhältnis nicht mög1ich.
Sasa B. kann mit fortschreitender beidseitiger Hüftgelenkarthrose in seinem erlernten Beruf als Koch nicht mehr arbeiten. Sein Antrag, das Abitur zu machen und sich z.B. perspektivisch auf den Bereich BWL umzuschulen, wurde vom pädagogischen Dienst mit der „Begründung“ abgelehnt, ein Abitur diene nicht der Integration...anscheinend ist man hier der Ansicht, der Putzjob, den er derzeit verrichtet sei besser geeignet, ihn auf einen Platz im  Niedrigstlohn - Sektor der Arbeitswelt vorzubereiten. Resozialisierung  auf schwälmerisch.



Die Arbeitskolonne

im hiesigen Sprachgebrauch „Landwirtschaft“ genannt, zeichnet verantwortlich für die Freiflächenunterhaltung des Anstaltsgeländes. Eigentlich ein klar umrissenes Tätigkeitsfeld.

Natürlich bringen die Verflechtungen einer Anstalt, die seit Jahrhunderten in örtliche Strukturen eingebettet ist, informelle Absprachen, personelle Beziehungen und gewisse Traditionen mit sich. Da ist es dann auch mal möglich, die Arbeitskraft der Gefangenen für den Heckenschnitt auf DB-Gelände einzusetzen, damit der ehemalige Herr Gefängnisdirektor einen ungetrübten Ausblick hat, den Rasen seines Privatgrundstücks zu mähen oder seinen Weihnachtsbaum aufzustellen; öffent1iche Plätze und Einrichtungen wie den Vorplatz des Bauamtes oder das „die Überlebenden zum Ansporn“ mahnende Kriegerdenkmal ansehnlich zu halten, in der „Ziegenhainer Kehrrunde“ dem Schwälmer Blick weggeworfene Zigarettenkippen und gebrauchte Papiertaschentücher zu ersparen oder auch mal einem Bediensteten den privaten Stand auf Weihnachtsmarkt und
Salatkirmes abzubauen und einzulagern. Auch der Schwälmer Heimatverein greift gerne bei der Pflege seines Museums auf die Muskelarbeit sportgestählter Gefangener zurück.

Ob diese Kolonne aber an einem Arbeitstag ausrückt, entscheidet sich wie bei den „altersgerechten Arbeitsplätzen“ des Hauses daran, ob die Dienstplanung eine Aufsicht einteilt oder nicht. Monate, in denen die Beschäftigten gerade einmal 10 Arbeitstage auf ihren Abrechnungen haben sind keine Seltenheit. Der überwiegende Teil der dort beschäftigten rekrutiert sich aus den Gefangenen der Lockerungsstation und soll mit dem miesen Verdienst auch noch die anfallenden Reisekosten bei Lockerungen finanzieren. Für diejenigen, die ihren Lebensmittelpunkt und ihre sozialen Bezüge nicht in der Nähe haben, schlichtweg eine (gewollte) Unmöglichkeit. In diesem Zusammenhang sei auf den Anhangtext „Verschuldung durch Lockerungen“ verwiesen.


Verschuldung durch Vollzugslockerungen

Wesentliche Voraussetzung zur Erarbeitung einer günstigen Sozialprognose, offenem Vollzug
und zeitgerechter Entlassung sind Vollzugslockerungen wie Ausgänge/Ur1aube. Die obergerichtliche Rechtsprechung weist immer wieder darauf hin,


„...dass die Vollzugsbehörde von Verfassungs wegen gehalten ist die bedingte Entlassung des Gefangenen so vorzubereiten, dass dessen verfassungsrechtlich gewährleisteter Freiheitsanspruch durch den Richterentscheid zeitgerecht realisiert werden kann. Sie darf ihm deshalb ohne zureichenden Grund nicht Vollzugslockerungen versagen, deren Bewältigung für eine Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe erforderlich sind...“

    

Die hierbei entstehenden Kosten, hervorzuheben sind die Reisekosten, hat der Gefangene in der Regel selbst zu tragen. Eine Beihilfe oder die Übernahme der Kosten KANN gewährt werden. Jedoch gibt es keine verbindliche Regelung dazu, das wird von Fall zu Fall recht willkürlich entschieden. Nicht nur undurchsichtig, sondern geradezu dubios ist die Praxis der Mittelbewilligung durch den Gefangenenhilfeverein Schwalmstadt. Hier gibt es eine enge personelle Verflechtung zwischen Anstalt und Verein, die auch nicht ausschließt, dass auf Schweigepflicht vereidigte Beamte Informationen, an die sie im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit gelangen, im ehrenamtlichen Bereich dem Verein weitergeben. Auch ist nicht feststellbar, wer im konkreten Fall über Bewilligungen entscheidet - der Verein, oder die Anstalt.

Die folge ist, dass Einze1ne wiederholt mögliche Ausgänge nicht wahrnehmen können, weil ihnen die Mittel dazu fehlen, oder sie absolvieren sinnlose Spaziergänge in Schwalmstadt, um wenigstens die durchgeführte Maßnahme in den Akten stehen zu haben.
Die Lockerungsabteilung des Kornhauses bietet als einzige Möglichkeit ein Einkommen zu erzielen, einen Job in der sog. „Freiflächenunterhaltung“. Die Einordnung dieser Tätigkeit erfolgt in den niedrigsten Lohngruppen, das bedeutet, mehr als ein Tagesverdienst von noch nicht einmal 9.- EUR brutto ist nicht möglich. Selbst wenn man zugrunde legt, dass alle Arbeitstage des Monats genutzt werden, liegt das maximal erzielbare Einkommen bei ca. 180.- EUR brutto. Hiervon ist das vorgeschriebene Überbrückungsgeld für die erste Zeit nach der Entlassung an zu sparen, Schuldenregulierung zu betreiben, der Einkauf von Toilettenartikeln, Schreibwaren, und anderen Sachen des persönlichen Bedarfs zu bezahlen....
Verschärfend kommt hinzu, dass die Entscheidung, ob an einem Tag gearbeitet wird, davon abhängt, dass ein Bediensteter zur Aufsicht abgestellt wird, hier wird seitens der Dienstplanung gerne eingespart. Daher ist es keine Seltenheit, dass die zur Arbeit eingeteilten Leute lediglich 10 Tage, auch noch weniger, auf ihren Abrechnungszetteln haben.

Für den Großteil der auf der Lockerungsstation untergebrachten fa1len Fahrkosten an, die von
diesem Niedrigstlohn nicht bestritten werden können. Um die Dimension einmal konkret in Zahlen zu verdeutlichen: für ein Rückticket in den südhessischen Raum sind annähernd 50.- EUR zu veranschlagen. Dies macht bei Vollarbeitszeit ein Drittel, in „schlechten Monaten“ mehr als die Hälfte oder sogar den gesamten Verdienst aus. Da macht es sich dann schön, darauf zu verweisen, dass der Gefangene ja pro Monat soundsoviel Lockerungen bekäme, ob er sie auch in Anspruch nehmen kann... darüber ist Schweigen. Nutzt jemand seine möglichen Lockerungen nicht in vollem Umfang, kann sich das auch rückschrittig auswirken, nämlich wenn es um die gutachter- und richterlich zu beantwortende Frage geht, ob die Anzahl und Qualität der bewältigten Lockerungen ausreichend ist, eine positive Legalprognose zu stützen,

Unter diesen Vorzeichen muss auch die Frage gestellt werden, welchen Sinn es macht, Gefangenen auf der einen Seite Entschuldungsprogramme anzubieten, sie aber dann gegen Haftende einer Situation auszusetzen, die fast zwangsläufig wieder in Verschuldung führt. Solange sich die Institution weigert, für entstehende Reisekosten in notwendigem Umfang aufzukommen, wird es immer wieder der Fall sein, dass Angehörige oder Freunde notwendige Mittel vorstrecken müssen, damit die möglichen Lockerungen wahrgenommen werden können.

Gesetzgeber, Vollstreckungsgericht und Gutachter setzen die Lockerungen als Bedingung für eine Entlassung. Das Problem der Finanzierung wird dabei so gut wie nie in den Blick genommen. Ausnahmsweise in diesen Zusammenhängen auch mal positiv denkend wahrscheinlich deswegen, weil stillschweigend davon ausgegangen wird, dass dies kein Thema ist, da Anstalten und/oder entsprechende Organisationen der Gefangenenhilfe über ausreichend Mittel verfügen, damit dies eben nicht zum Problem wird. Jeder Gefangene in Lockerungen muss die Möglichkeit haben, diese ohne Abhängigkeit von den Kosten zu nutzen.

Bezogen auf die Verhältnisse im Kornhaus ist festzustellen, dass die Institution nicht in der Lage ist wirtschaftlich ergiebige Arbeit anzubieten. Nur das wäre eine Voraussetzung, um dem Gefangenen zuzumuten, für seine Reisekosten se1bst aufzukommen.
Eine Möglichkeit könnte z.B. darin bestehen, dass abhängig vom realen Verdienst einmal pro Monat die Kosten selbst zu tragen sind, alle weiteren aus Mitteln der Anstalt und der Gefangenenhilfe übernommen werden. Die Kassen der Gefangenenhilfe sind gefüllt, gekoppelt mit Mitteln der Justiz ist ein solches Modell machbar.
Eine ebenfalls gangbare Lösung wäre die Rückkehr zu dem Vergütungsmodell des früheren bundeseinheitlichen Strafvollzuggesetzes. Hierbei würde eine Arbeitsleistung von 100% grundsätzlich eine Einordnung in eine höhere Lohngruppe mit sich bringen, allerdings wäre damit nicht das Problem einer permanenten Unterbeschäftigung gelöst. Rea1istisch betrachtet erscheint es allerdings utopisch, dass der hessische Gesetzgeber von der vor einigen Jahren etablierten Niedrigstlohnvergütung abrückt.

Vollzugslockerungen sind grundsätzlich vom Gesetz her als Behand1ungsmaßnahmen angelegt, analog den verschiedenen Einzel- und Gruppentherapien innerhalb des Vollzugs. Niemand käme auf die Idee, einen Gefangenen für die notwendige Therapie zur Kasse zu bitten oder sie bei Mittellosigkeit zu verweigern....